Über die Schönheit

Thomas Aeffner • 8. Januar 2017

von der Schönheit im Alter  

Mehr Lebensfreude

Ich war ja gerade in Rente gegangen, als ich meine professionelle Arbeit als Tantramasseur begann. Vermutlich deshalb dachte ich darüber nach, wie es sich wohl anfühlen mußte, allein in einem Altersheim zu leben - Niemand mehr um in den Arm zu nehmen, kein Kuscheln keine Zärtlichkeit, nur noch professionelle Berührungen bei der Pflege. Den Körper zwar satt und sauber, aber verhungernd nach liebevollen Berührungen.

Genau diesen Menschen würden Tantramassagen doch Lebensfreude geben können.

Ich sprach darüber mit der Besitzerin der Praxis in der ich freelance mitarbeitete und sie war ganz meiner Meinung, dass wir uns verstärkt um alte Menschen als Klientel kümmern sollten. Sie würde mich mit ihrer Mutter bekannt machen, die sei locker und gut drauf, und wenn die erst ihren Freundinnen von der Wirkung der Tantramassage erzählte, dann kämen die sicher auch alle zu uns.

Die Damen waren durchaus interessiert, sie vermissten schon ein passendes Liebesleben und die entsprechenden Zärtlichkeiten, aber sie winkten ab und wollten nicht den Versuch wagen, ob eine Tantramassage ihnen genau das geben könne.

Begründung: den Anblick ihres welken Körpers wollten sie niemandem mehr zumuten.

Da war nichts zu machen.

Ich schrieb daraufhin diese Kurzgeschichte "Über die Schönheit" und gab sie den Damen zu lesen.

Sie waren zu Tränen gerührt.



Die Dame und der Maler


„Schönheit ist vergänglich! Und bei mir ist sie schon seit langem dahin. Ne, nee.“

Die alte Dame hatte auf ihre Hände geschaut. Jetzt nahm sie sie vom Tisch und versteckte sie in ihrem Schoß.



„Das ist so nicht richtig!“

Der Herr ihr gegenüber sah ihr direkt in die Augen.



„Ich will hier gar nicht Süßholz raspeln und Ihnen die Komplimente machen, die Sie verdienen.“



Sie blickte ihn fragend an.



„Ich bin sozusagen Fachmann für Schönheit.“

Er griff ohne den Blick von ihr zu nehmen zu seiner Kaffeetasse und trank einen Schluck.



„Ich habe mein Leben der Schönheit gewidmet!“ verkündete er.

„Ich bin Maler, Kunstmaler, müssen Sie wissen.“

Er setzte die Tasse zurück und beugte sich leicht zu der Dame vor.



„Ich will Ihnen das mit der Schönheit gerne erläutern.

Schönheit – darunter verstehen die meisten Perfektion, das Ideal. Die perfekte Form ist der Kreis. Nun stellen Sie sich das mal bildlich vor: ein schwarzer Kreis auf weißem Quadrat, genau mittig. Alles im Gleichgewicht, optimaler Kontrast, alles perfekt.

Und entsetzlich langweilig!

Ist Langeweile denn Schönheit?

Sicher nicht!“



„Nein, aber ich habe da diese Tuschezeichnung hängen. Aus Japan, oder Korea, jedenfalls aus Fernost. Da ist mit einem einzigen Pinselstrich mit schwarzer Tusche ein Kreis gemalt.

Ich liebe dieses Bild, ich schaue oft darauf und es hilft mir beim Meditieren“ gab die Dame zu bedenken.



„Genau, da haben wir ein gutes Beispiel“ bestätigte der Maler.

„Ihr japanischer Tuschekreis ist von Hand gemalt. Sie können sehen, wo der Meister den Pinsel aufgesetzt hat: da ist der Strich etwas breiter. Und wo der Pinsel das Papier verlassen hat läuft der Strich dünner aus. Der Kreis ist nicht so perfekt rund, wie der ideale, der langweilige aus meinem Beispiel. Er steht auch nicht so exakt in der Mitte. Ein Meister weiß, dass er sich der idealen Form nur annähern kann, dass aber genau die Abweichung vom Ideal das Lebendige, das Künstlerische ausmacht.

In Ihrer Tuschezeichnung sehen Sie die Spur des Bemühens eines Meisters um Perfektion.

Das Tuschebild ist die Materie gewordene Spur dessen, was der Meister sein Leben lang geübt, gemalt, gelebt hat. Das ist letzten Endes die Schönheit: nicht das Ideal, sondern die Spur unseres Strebens, das Zeugnis unserer Tätigkeit, unseres Bemühens nach dem Ideal.“



„Sie wollen also sagen, dass die Schönheit darin liegt, dass etwas nicht ganz perfekt ist? Ist das nicht ein Widerspruch in sich“ wandte die Dame ein.



„Nein, das ist kein Widerspruch“ erwiderte der Maler.

„Sehen Sie sich in den Künsten um: die Schönheit eines Musikstückes liegt nicht in der Aneinanderreihung von perfekten Harmonien, sondern in der Spannung der harmonischen zu den weniger harmonischen Tonabständen – bis hin zu krassen Dissonanzen.“





Die beiden verstummten und jeder hing eben seinen Gedanken zu diesem Thema nach.



„Aber was hat das jetzt damit zu tun, dass meine Schönheit verblüht ist? Ich bin alt geworden, die Haut ist schlaff und runzelig.

Da ist keine Schönheit mehr“, seufzte die Dame.



„Jetzt bekommen Sie mich doch fast dazu, dass ich Ihnen Komplimente mache.“

Der alte Herr sah sie aufmerksam an.



„Aber ich will nicht Ihre persönliche Schönheit besingen. Das könnten Sie mit einem 'ach was' beiseite wischen. Lassen Sie es mich weiter allgemein halten, bis Sie sich selbst darin wiederfinden können.



Sie haben hier in Ihrem Wohnzimmer diesen wunderbaren Sekretär: edles Holz, die alte lederne Schreibunterlage. Ein Erbstück?“



„Ja, da hat meine Großmutter schon ihre Korrespondenz dran geführt. Sie hat ihn geliebt!“



„Sehen Sie, das Möbel war schon ein besonders schönes Stück, als Ihre Großmutter es bekommen hat. Die feine Tischlerarbeit, die ausgewogenen Proportionen, die anmutigen Verzierungen, die stabile Schreibplatte mit der Unterlage aus Leder. Ich stelle mir vor, wie das frische Holz geduftet hat! Und ist der Sekretär mit den Jahren hässlich geworden?

Er war aus der Mode gekommen, das ja. Er entsprach irgendwann nicht mehr dem allgemeinen Geschmack. Aber er hat seine Schönheit behalten. In gewisser Weise hat er sogar an Attraktivität zugenommen.



Stellen Sie sich einfach mal das gleiche Möbel in fabrikneu daneben vor: das alte ist das wertvollere, das schönere. Mit all seinen Gebrauchsspuren: dem abgeschabten Holz, wo die Schublade immer entlanggeglitten ist. Die vom vielen Anfassen rund und glatt geschliffene Vorderkante. Das Holz vom Alter gedunkelt, selbst die Kratzer und die paar Tintenflecke machen es nicht hässlich. Sie sind Spuren von Gebrauch, sie laden das Möbel mit Bedeutung auf. In diesem Fall mit der Bedeutung all der Gedanken, die Ihre Großmutter daran zu Papier gebracht hat. Und die Ihrer Mutter. Und dann Ihrer eigenen.

Das sind alles Spuren des Geistes, die in der Materie ihre Form gefunden haben. Vom Entwurf des Möbeldesigners angefangen bis hin zu den Spuren derer, die dieses Möbel benutzt haben“



„Sie meinen also, der Sekretär sei schön, weil er alt ist?“

Die alte Dame sah den Maler zweifelnd an.



„Nein, es gibt natürlich auch hässliche alte Möbel. Die waren aber nie schön – höchstens mal modisch. Nicht das Alter hat sie hässlich gemacht. Die Schönheit vergeht nicht. Im Gegenteil, die Spuren, die der Gebrauch und die Jahre hinterlassen haben, sind noch ein zusätzlicher Wert, etwas was sie einem gleichen neuen Stück voraus haben.“



Der alte Maler erhob sich, ging um den Tisch herum zu der Dame und nahm ihre Hand.



„Vielen Dank für den Kaffee. Und noch mehr für das Gespräch. Ich möchte jetzt die letzten Sonnenstrahlen nutzen und ein wenig spazieren gehen. Das Herbstlicht auf dem bunten Laub der alten Bäume ist einfach zu schön, um es zu verpassen.“



Er hob ihre Hand ein wenig und deutete ganz altmodisch einen Handkuss an.



„Einen angenehmen Abend noch. Und denken Sie an meine Worte, wenn Sie sich nachher im Spiegel betrachten. Die Schönheit vergeht nicht. Die Spuren des Lebens erhöhen sogar noch ihren Wert!“



I

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Einleitung Dieser Blog hier ist für mich ein Novum: ich habe so etwas noch nie gemacht, trotzdem hast du ihn hier vor dir: den Jahresrückblick 2024. Als roter Faden zieht sich durch das ganze Jahr, dass ich einen Gang zurück geschaltet habe, Entschleunigung nennt man das, mir dadurch mehr Zeit für mich und meine Familie geschaffen habe und dadurch gleichzeitg die Qualität steigerte, also mehr geschafft habe bei der Arbeit mit meinen KlientInnen als Sexualbegleiter, Tantramasseur oder was sonst an Körperarbeit angefragt wurde. Wie bin ich nun darauf gekommen, einen Jahresrückblick 2024 zu verfassen? Folgendes ist passiert: Ich kontrollierte meinen Webseite www.aeffner.com und stelle fest: mein Gästebuch ist weg! All die wunderbaren und berührenden Feedbacks, die meine KlientInnen mir geschrieben haben sind offenbar gelöscht. Und jeder, der mich kennt, weiß natürlich: ein Backup davon gibt es nicht. In meinen E-Mails werde ich sicher das ein oder andere Statement wiederfinden, aber manches ist endgültig verloren. Seltsamerweise geriet ich nicht in Panik. Ich saß am Kaminofen, schaute in die Flammen und dachte zurück an all die Begegnungen, an all die Menschen, mit denen ich arbeiten durfte und an all die lieben Worte, die sie mir danach geschrieben hatten. Manche Erinnerungen sind schon ein wenig verblaßt, andere stehen noch in lebendigen Farben vor meinem geistigen Auge. Ich möchte zumindest das gesamte Jahr noch einmal zusammenfassen und für mich und euch aufschreiben. Wie gut, dass ich mir Zeit geschaffen hatte, etwas für mich zu tun: ich werde also beginnen, regelmäßig zu bloggen. Und damit das auch wirklich etwas wird, melde ich mich an bei Judith Peters an zu ihrer „ Jahresrückblog “-Challenge.
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